Julia Breil

05 Februar, 2021

Mittelstand Digital / BMWi: Gastgewerbe muss sichtbar werden

Digitale Plattformen sind laut BMWi die Marktplätze der Zukunft und auch im Außer-Haus-Markt nicht mehr wegzudenken. Das neue Themenheft Mittelstand Digital – Gastgewerbe und Handel soll kleine und mittlere Unternehmen bei der Etablierung neuer Medien unterstützen.

Ein Blick in die Statistik zeigt: Bei der Auswahl eines Restaurants lesen 48 Prozent der Gäste im Vorfeld im Internet die Bewertungen anderer Gäste, 72 Prozent möchten vor dem Besuch online einen Blick in die Speisekarte werfen können. Diese Informationen fallen dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) zufolge auch bei Online-Essensbestellungen stark ins Gewicht. Bereits kleine Digitalisierungsschritte reichen nach Ansicht von Wirtschaftsexperten somit oft schon aus, um über die Hälfte der Besucher zufriedener zu machen, bevor diese ein Restaurant überhaupt betreten. Darüber hinaus können kleine und mittlere Unternehmen durch digitale Hilfsmittel wie kontaktloses Bezahlen, automatisierte Bestellungen und elektronische Warenwirtschaftssysteme nicht nur wertvolle Ressourcen sparen.

Die Hälfte der Unternehmen aus dem Gastgewerbe habe durch die Einführung von digitalen Maßnahmen ihre Umsätze erhöhen können und sei gerade während der Corona-Pandemie fast überall zur Grundvoraussetzung für die wirtschaftliche Existenz geworden, berichtet Mittelstand Digital. „Durch die Krise haben viele Mittelständler erkannt, dass schon kleine Digitalisierungsmaßnahmen helfen können, das eigene Geschäftsmodell so aufzustellen, dass flexibler auf äußere Einflüsse reagiert werden kann. Gleichzeitig wächst aber auch das Verständnis für Digitalisierung als Grundvoraussetzung für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg der kleinen und mittleren Unternehmen“, bestätigt Martin Lundborg, Leiter der Begleitforschung von Mittelstand-Digital.

Stufenweise digitalisieren

Mit der Vielfalt an digitalen Lösungen wächst aber auch die Komplexität der unternehmerischen Entscheidungen. Wo lohnt es sich, im eigenen Betrieb anzusetzen? Welche Lösung ist die richtige? Und wie kann die Finanzierung gestemmt werden? Das aktuelle Themenheft von Mittelstand-Digital zeigt anhand unterschiedlicher Praxisbeispiele, welche weiteren Entwicklungspotenziale der Einsatz von digitalen Lösungen bereithält. Martin Lundborg ist überzeugt: „Von Online-Tischreservierungen über den Einsatz von Servicerobotern bis hin zu Schokolade aus dem 3D-Drucker – das Digitalisierungspotenzial ist vielfältig und für jedes Restaurant, Geschäft oder Hotel ist eine passende Lösung dabei. Oft genügen schon kleine Schritte, um einen signifikanten Unterschied zu erzielen.“

Dafür lohne sich laut Mittelstand Digital auch der Blick auf die Best Practices anderer Branchen: So würden etwa in der Fertigungsindustrie oft schon alle Produktionsschritte digital erfasst und miteinander vernetzt. Ein Modell, das auch in der Gastronomie zu Effizienzsteigerungen führen könne. Durch Vernetzung bisher isolierter Systeme wie der Warenwirtschaft oder Personalplanung ließen sich auf Basis der Daten Erkenntnisse gewinnen und eine Vielzahl von Prozessen optimieren.

Nachfrage durch Sichtbarkeit erhöhen

Besonders kleine und mittlere Unternehmen, die möglicherweise keinen eigenen Onlineshop haben, können durch die integrierte Infrastruktur von digitalen Marktplätzen maßgeblich entlastet werden oder ihre Sichtbarkeit durch die Nutzung Sozialer Medien erhöhen. Immer mehr Kunden geben Mittelstand Digital zufolge diese als Kaufauslöser an. Gerade weil Social Media im Alltag viel Aufmerksamkeit erfährt, lohne es sich, diesen Kanal in Ergänzung zu bestehenden Kundenschnittstellen zu nutzen, empfehlen die Branchenexperten. Welche Plattform die richtige ist, lasse sich zwar nicht pauschal beantworten. Es könne beispielsweise ein Teil der Strategie sein, verschiedene Plattformen zur Ansprache unterschiedlicher Kundengruppen zu nutzen. Wer aber Plattformen für die Ausweitung seiner Reichweite in den digitalen Raum nutzen möchte, etwa durch einen regionalen Marktplatz oder einen Account bei namhaften Plattformen, braucht eine klare Strategie, betont Mittelstand Digital. Denn neben den auf der Hand liegenden Vorteilen lauerten auch gewisse Risiken bei der Nutzung – unter anderem die der steigenden Abhängigkeit. Gastronomen und Händler sollten daher darauf achten, nicht zu abhängig von einem Medium zu sein und auch andere Vertriebskanäle zu nutzen.

App für Servicepersonal

Fest steht: Die Digitalisierungspotenziale in der Gastronomie sind groß, doch bislang oft ungenutzt. Vernetzte Systeme stellen einen wesentlichen Baustein der Digitalisierung in der Produktion dar. In der Gastrobranche sind hingegen häufig isolierte Lösungen mit wenigen Schnittstellen die Regel, berichtet das Themenheft. Dazu zählen unter anderem Kassen-, Warenwirtschafts-, Tischreservierungs-, Feedback- oder Personalplanungssysteme. Welche Auswirkungen es hätte, wenn sich diese Systeme umfassend vernetzen könnten und alle verfügbaren Daten in verwertbarer Form bereitstünden, hat das Mittelstand-4.0-Kompetenzzentrum Hannover getestet. Mitarbeiter haben dazu exemplarisch einen typischen und zugleich ineffizienten Kommunikationsprozess zwischen Küche und Service angeschaut und dafür eine digitale Lösung in Form einer App entwickelt: Bisher wird das Servicepersonal häufig mit einer Klingel über fertige Speisen informiert. Dabei werden zum einen die Gäste gestört, zum anderen muss sich das Servicepersonal händisch abstimmen, wer für den jeweiligen Tisch zuständig ist.

Diese Aufgabe übernimmt in Zukunft die App. Um die Informationen zwischen Küche und Service zu transportieren, greift die entwickelte digitale Lösung auf das Netzwerkprotokoll MQTT zurück. Das Küchenpersonal verwendet einen Touchscreen oder einen Taster, um zu melden, welche Speisen abholbereit sind. Im Service erhält die zuständige Person eine Benachrichtigung mit Vibrationsalarm auf die Smartwatch oder das Smartphone – ohne akustische Störung der Gäste. Der Prozess könne dem Kompetenzzentrum zufolge nun effizienter ablaufen. Durch die digitale Erfassung würden außerdem neue Kennzahlen generiert, beispielsweise die durchschnittliche Wartezeit der Gäste bis zum Servieren der Speisen, um hieraus qualitätsverbessernde Maßnahmen abzuleiten. Der Prototyp der App wurde bereits erfolgreich getestet und komme nach eigenen Angaben in verschiedenen Praxisprojekten zur Anwendung.

Zuschüsse beantragen

Die Praxisbeispiele zeigen: Die Digitalisierung im Gastgewerbe, auch in kleinen Schritten, lohnt sich. Doch gerade für die vielen kleinen und mittleren Betriebe stellen die hohen Investitionskosten enorme Hürden dar, wissen die Experten des BMWi. Mit der Unterstützung von „Digital Jetzt“ können diese nun gemeistert und der erste Schritt in Richtung digitale Transformation gewagt werden. Das frisch gestartete Förderprogramm des BMWi bietet finanzielle Zuschüsse von bis zu 50.000 Euro pro Unternehmen und 100.000 Euro für Wertschöpfungsnetzwerke. Kleine und mittlere Betriebe aus allen Branchen und mit mindestens drei Beschäftigten können online einen Antrag auf Förderung stellen. Mögliche Investitionen sind etwa Soft- oder Hardware, die die Vernetzung fördern, oder Maßnahmen zur Mitarbeiterqualifizierung. Voraussetzung für die Bewilligung ist ein vorgelegter Investitionsplan, bei dessen Erstellung interessierte Außer-Haus-Markt-Betreiber bei Bedarf Unterstützung durch die Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren erhalten.